Einschätzung: Assessment
Wie lässt sich die Mundgesundheit einschätzen?
Unter Assessment versteht man im weitesten Sinne die Bewertung und Einschätzung von Fähigkeiten.
In der Pflege dienen Assessments dem "Messen", "Einschätzen" und "Bewerten" von pflegebezogenen oder pflegerelevanten Zuständen wie der Mobilität, der geistigen Fähigkeiten, der Ernährung oder zum Beispiel auch der Mundgesundheit. Viele Assessmentinstrumente sind in englischer Sprache entwickelt. Damit diese Instrumente auch in Deutschland sicher angewendet werden können, ist zunächst eine "Übersetzung" mit wissenschaftlich abgesicherter Validierung vorzunehmen.
Zur Bewertung und Einschätzung der Allgemeinen Gesundheit werden unter Allgemeinerkrankungen > Assessments diverse Assessment-Instrumente vorgestellt.
Nachfolgend werden hier einige Assessment-Instrumente für die Mundgesundheit vorgestellt.
Mundgesundheit-Assessments
Für die Mundgesundheit gibt es verschiedene Assessments. Am weitesten verbreitet sind:
- Oral Assessment Guide (OAG)
- Revised Oral Assessment Guide (ROAG)
- Oral Health Assessment Tool (OHAT)
Diese Assessments schätzen die Mundgesundheit anhand des Zustandes konkreter anatomischer Strukturen (z.B. Lippen, Zähne, Zahnfleisch, Schleimhäute, Zunge) und ordnen über vorgegebene Beschreibungen (z.B. feucht, trocken, rissig) bestimmten Kategorien (gesund, verändert, krankhaft) zu. ROAG erfasst gegenüber OAG zusätzliche Aspekte zu Zahnprothesen (Passung, Halt, Beschädigungen), OHAT erfasst gegenüber OAG und ROAG zusätzlich das Kriterium Schmerz.
Andere Assessments für die Mundgesundheit fokussieren auf die funktionellen Einschränkungen (Kauprobleme, Schluckprobleme, Schmerzen, Unzufriedenheit mit dem ästhetischen Erscheinungsbild) ein. Hier stehen also das Wohlbefinden und die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität im Vordergrund.
- Oral Health Impact Profil (OHIP-49-21-14-5)
– Versionen mit 49, 21, 14 bzw. 5 Fragen - Geriatric Oral Health Assessment Index (GOHAI)
Alle aufgeführten Assessments sind auch in deutscher Übersetzung und zum Teil mit erweiterten Kriterien verfügbar.
Beispiele4 Bilder




Expertenstandard Mundgesundheit
Die beschriebenen Assessments zur Mundgesundheit sind entweder für wissenschaftliche Auswertungen entwickelt worden oder sehr settingspezifisch. Im Hinblick auf die vielen verschiedenen Settings (Krankenhaus, ambulante bzw. stationäre Pflege, Hospiz, ...) wurde im Rahmen des Expertenstandards ein zweistufiges Verfahren - bestehend aus Screening und Assessment gewählt.
Screening
Das Screening soll dabei auf wenige subjektive bzw. objektive Kriterien und ohne die Inspektion der Mundhöhle auskommen. Dabei sind folgende Kriterien ausschlaggebend:
- Gehört der betroffene Mensch einer Gruppe an, die ein Risiko für Probleme im Mundbereich aufweist?
- Besteht objektiv wahrnehmbarer pflegerischer Unterstützungsbedarf bzw. ein Problem im Mund-, Kiefer-, Gesichtsbereich?
- Besteht subjektiv geäußerter pflegerischer Unterstützungsbedarf bzw. ein Problem im Mund-, Kiefer-, Gesichtsbereich?
Menschen mit Risiko für Probleme im Mundbereich:
- Körperliche Beeinträchtigung
- Kognitive Beeinträchtigung
- Neurologische Erkrankung (z. B. Parkinson, Schlaganfall)
- Multimedikation
- Ernährungsprobleme bzw. Trinknahrung zur Nahrungsergänzung
- Sauerstoffzufuhr oder Beatmung
- Chemotherapie oder Strahlentherapie im Kopf-Hals-Bereich
- Erkrankung im Mundbereich
- Nach Operation im Mundbereich
- Immunsuppression
- Terminale Lebensphase
- Substanzabhängigkeit
- Prekäre Lebenssituation (Obdachlosigkeit, Armut)
Pflegerischer Unterstützungsbedarf bzw. Problem im Mund-, Kiefer-, Gesichtsbereich:
- Schmerzen, Schwellungen oder Verletzungen
- Probleme beim Essen bzw. Kauen (auch Nahrungskarenzen)
- Probleme mit herausnehmbarem Zahnersatz
- Probleme bei der Mundpflege
- Trockene bzw. rissige Lippen, Rhagaden
- Mundtrockenheit
- Mundgeruch
Für die Risikogruppen oder wenn objektiver bzw. subjektiver pflegerischer Unterstützungsbedarf oder wenn Probleme im Mund-, Kiefer-, Gesichtsbereich bestehen wird das Assessment eingeleitet.
Assessment
Im aufwendigeren Assessment erfolgt nicht nur eine differenziertere Betrachtung der einzelnen anatomischen Strukturen (Lippen, Zähne, Zahnfleisch, Zunge, ...), sondern es gilt zudem mögliche Ursachen (eingeschränkte Mundöffnung, nicht bedarfsgerechte Pflegemittel, Defizite in der Ausführung...) zu identifizieren.
Probleme im Bereich Mund, Mundhöhle, Zähne
- Lippen, Mundwinkel, Mundschleimhaut bzw. Zunge sind belegt, gerötet, geschwollen, verletzt, trocken/rissig, auffällig verändert
- Zahnfleisch ist geschwollen, gerötet, blutet, auffällig verändert
- Zähne, Zahnzwischenräume, Zahnersatz zeigen weiche bzw. harte Beläge oder Speisereste
- Zähne sind stark beweglich, stark verfärbt, defekt, abgebrochen, scharfkantig, auffällig verändert oder fehlen
- Bei Schmerzen, Schwellungen oder Verletzungen: Lokalisation und gegebenenfalls Ursache
Probleme mit dem Zahnersatz
- Zahnersatz fehlt oder wurde längere Zeit nicht getragen
- Zahnersatz ist beschädigt, scharfkantig, gesprungen, gebrochen
- Herausnehmbarer Zahnersatz sitzt zu locker bzw. Probleme bei Ein- bzw. Ausgliederung
- Herausnehmbarer Zahnersatz hält auch mit angemessener Menge Haftcreme nicht oder verursacht Druckstellen
Mundtrockenheit und reduzierter Speichelfluss
- Flüssigkeitsaufnahme unzureichend
- Medikamente mit Nebenwirkung
- Mundatmung aufgrund gestörter Nasenatmung
- Speicheldrüsen-Funktion beeinträchtigt
Mundgeruch
- Nahrungsmittel, Diäten
- Auffälligkeiten, vor allem Beläge an Zähnen, Zahnfleisch, Zahnersatz
- Auffälligkeiten im Bereich der Zunge bzw. der Mundschleimhaut
- Diabetes, Reflux, Antibiotika, Tumor
Pflegerischer Unterstützungsbedarf bei der Mundpflege
- Körperlich bzw. kognitiv bedingte Beeinträchtigung
- Erschwerter Zugang zur Mundhöhle
- Fehlende oder nicht angemessene Hilfsmittel und Pflegemittel oder auch nicht angemessener Umgang mit diesen